Profile 6-2021

PROFILE 6/2021 39 Gleichzeitig sehen 86 Prozent der Bun- desbürgerinnen und -bürger eine Not- wendigkeit für Veränderungen in der Gesellschaft. Aber nicht einmal die Hälf- te der Befragten sieht diese Notwendig- keit bei sich selbst – getreu dem Motto „Ändern sollen sich immer die Ande- ren“. Den größten Unterschied dabei macht das Alter: Immerhin drei Viertel (73 Prozent) der unter 30-Jahrigen er- achten es als notwendig, auch bei sich selbst Veränderungen vorzunehmen. Bei den 50- bis 59-Jährigen sind es nur noch 38 Prozent, bei den Über-60-Jährigen nur noch jeder Vierte (28 Prozent). VERÄNDERUNG ALS CHANCE Psychologen unterscheiden beim Thema Veränderungen grundsätzlich „äußere“ und „innere“ Veränderungen. Mit äuße- ren Veränderungen sind solche gemeint, auf die ich selbst keinen Einfluss habe – also beispielsweise die Kontaktbeschrän- kungen in der Pandemie oder aber auch eine betriebsbedingte Kündigung. Ob ich will oder nicht: Ich muss mich neu sortieren und aufstellen. Wichtig in sol- chen Situationen ist Offenheit: Wer sich gegen Veränderungen wehrt, so sehr sie die eigenen Lebenspläne in dem Mo- ment auf den Kopf stellen, wer „mauert“ oder „klammert“, kann nicht glücklich werden. Ein Zauberwort heißt deshalb: Anpas- sung – und zwar im positiven Sinne. Psy- chologen raten dazu, sich zu fragen, was man der neuen Situation an Positivem abgewinnen kann, welche Chancen und Möglichkeiten sich daraus ganz konkret ergeben. Oder, um es mit dem französi- schen Dramatiker Moliére zu sagen zu sagen: „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere.“ ZUM GLÜCK „GEZWUNGEN“ Schon ein anderer Franzose, der Schrift- steller und Literaturnobelpreisträger Andre Gide hat darauf verwiesen, dass man allzu oft „auf die geschlossene Tür blickt und die geöffnete nicht beachtet“. Will heißen: Veränderung tut gut – und man kann sie natürlich auch von sich aus herbeiführen. Der Ökonom Steven Le- vitt von der University of Chicago ist bereits vor einigen Jahren der Frage nachgegangen, warum sich Menschen mit eigentlich gewollten und gewünsch- ten Veränderungen schwertun. Tatsache ist, dass jede Veränderung zunächst zu Spannungen und Konflikten führt. Oder anders gesagt: Der Verlust kommt vor dem Gewinn. In seiner im vergangenen Jahr zum The- ma veröffentlichten Studie zeigte sich jedoch, dass viele Menschen möglicher- weise übermäßig vorsichtig sind, wenn sie vor lebensverändernden Entschei- dungen stehen. Im Rahmen eines groß angelegten Feldexperiments hatte Levitt Menschen, die Schwierigkeiten hatten, eine Entscheidung zu treffen, eine Mün- ze werfen lassen, um ihre Wahl zu tref- fen. Das (überraschende) Ergebnis: Bei wichtigen Entscheidungen, z. B. der Kündigung eines Arbeitsplatzes oder Be- endigung einer Beziehung, sind Men- schen, die durch den Münzwurf zu einer Veränderung aufgefordert werden, eher bereit, eine Veränderung vorzunehmen, zufriedener mit ihrer Entscheidung und sechs Monate später glücklicher als dieje- nigen, deren Münzwurf die Beibehal- tung des Status quo anordnete... Foto: iStockphoto

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==