Profile 1-2022

37 PROFILE 1/2022 DIE CHANCE AUF EIN GUTES GESPRÄCH Vielleicht auch, weil sie es verlernt haben. Denn statt miteinander ganz unmittelbar und direkt zu sprechen, kommunizieren die meisten Menschen mittlerweile per Messenger. Kurze Nachrichten, manchmal auch nur ein paar Worte, versehen mit einem Emoji, haben das persönliche Gespräch abgelöst. Es ist ja auch praktisch und geht ganz schnell. Die Kontaktbeschränkungen der Pandemie und die Angst, sich anzustecken, haben diesen Trend verstärkt. Denn zum Messenger als Konkurrenten zum Telefon kamen noch Zoom- und Teams-Besprechungen hinzu. Mit dramatischen Folgen. Viele tun sich mittlerweile schwer, auf Menschen zuzugehen und diese anzusprechen. „Die Digitalisierung bedeutet eine Rationalisierung der Kommunikation“, sagt Joachim Höflich, emeritierter Professor für Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt, in der Süddeutschen Zeitung. Der Mensch sei ein zutiefst soziales Wesen, das den sozio-emotionalen Austausch brauche. Wenn man sich in die Augen sehe und die feine Mimik lese, dann erfahre man so viel mehr über einen Menschen. „Wenn wir alle reduziert werden auf kommunikative Inseln, dann nehmen wir uns einen Teil vom Leben. Wenn alle isoliert sind, verschwindet auch die Basis für Solidarität“, so Höflich. Wie kommt man nun aus dieser Falle wieder heraus? Es ist wohl der Small Talk, der Rettung verspricht, aber zugleich das größte Hindernis darstellt. Denn die meisten Menschen trauen sich nicht, auf fremde Menschen zuzugehen. Die Angst vor Abweisung ist groß. Dabei haben die wenigsten schlechte Erfahrungen mit einem Spontangespräch gemacht. Dieses muss weder lang noch intensiv sein, um als Mutmacher zu dienen. Die kleine Fachsimpelei vor dem Gemüseregal, ein Kompliment vor der Umkleidekabine, das gemeinsame Seufzen über das schlechte Wetter. Es sind auch solche flüchtigen Begegnungen, die eine positive Wirkung haben. Ganz einfach, weil es persönliche Begegnungen sind. Soll aus einer Begegnung ein Small Talk oder noch besser ein Deep Talk werden, müssen Anlass und die persönliche Bereitschaft stimmen. Einladungen und Veranstaltungen sind die Klassiker des Small Talks. Profis talken dabei souverän über Anfahrt und Anreise, die außergewöhnliche Location, das spannende Programm. Andere stehen stumm daneben. Was hilft, um ins Gespräch zu kommen: nicht krampfhaft nach einem interessanten Thema suchen, sondern sich am Portfolio der Profi-Talker orientieren. Denn wenn der Funke überspringt, ist der Wetterbericht ohnehin abgehakt und das gute Gespräch kann beginnen. Susanne Mittenhuber Foto: Giulia May/Unsplash

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