Profile 6-2022

Einen Gang runterschalten, Sport machen oder eine Auszeit nehmen: Tipps gegen die Hektik unserer Zeit gibt es viele. Allerdings: Die meisten Maßnahmen sind zeitlich begrenzt und dienen nur einem Ziel: danach wieder besser zu „funktionieren“, schneller zu arbeiten, besser zu arbeiten. Tempo rausnehmen – ja, aber nur, bis der nächste Auftrag kommt. Sport machen – ja, am besten abends, damit man morgens wieder fit ist. Eine Auszeit nehmen, vielleicht sogar ein mehrmonatiges Sabbatical – danach kann man die Karriereleiter oder die Leiter des Lebens wieder beschwingt erklimmen. „Slow living“ dagegen ist ein umfassenderer Ansatz für ein entschleunigtes Leben. Umfragen zeigen immer wieder, dass das bitter nötig ist: So hat sich eine Mehrheit der Deutschen (58 Prozent) im vergangenen Jahr mindestens einmal so gestresst gefühlt, dass es sich auf das tägliche Leben ausgewirkt hat. Bei einem Drittel (32 Prozent) wurde der Alltag in den vergangenen zwölf Monaten gleich mehrmals negativ durch Stress beeinflusst. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Die Hälfte der Befragten (49 Prozent) hat sogar mindestens einmal ein so hohes Stresslevel verspürt, dass sie das Gefühl hatten, die Anforderungen des Lebens nicht mehr bewältigen zu können. Mehr als jeder Dritte (36 Prozent) berichtet außerdem von so schwerwiegenden Stressbelastungen, dass er für einen bestimmten Zeitraum im letzten Jahr nicht zur Arbeit gehen konnte. Auffällig ist, dass jüngere Menschen deutlich häufiger über Stresssymptome berichten als ältere Befragte. 44 Prozent der unter 35-jährigen Deutschen verspürten im vergangenen Jahr mehrfach die negativen Auswirkungen von Stress auf ihren Alltag. Zum Vergleich: In der mittleren Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen ist das bei jedem Dritten (35 Prozent) der Fall, unter den 50- bis 74- Jährigen sogar nur bei jedem Fünften (21 Prozent). Jüngere Befragte fühlen sich außerdem leichter durch die von Stress ausgelösten Probleme überfordert. Vier von zehn (40 Prozent) jungen Deutschen geben an, dass sie sich letztes Jahr mehrere Male so gestresst gefühlt haben, dass sie gefühlt den Anforderungen des Lebens nicht mehr gerecht werden konnten. Dasselbe trifft nur auf 28 Prozent der 35- bis 49-Jährigen zu, in der Altersgruppe 50plus sind es nur 17 Prozent. „Slow living“ könnte vor diesem Hintergrund zu einer Bewegung werden. Der Ansatz hat sich aus der Slow-Food-Bewegung entwickelt, die in den 1980er und 1990er Jahren als Gegenbewegung zum Fast-Food-Trend ins Leben gerufen „Slow living“ hält die Menschen dazu an, ihr Leben zu entschleunigen – auf allen Ebenen. Kann uns diese Einstellung besser durch die anstehenden Krisen bringen? Foto: Helga Wigandt/unsplash 37 PROFILE 6/2022

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