Profile 6-2022

wurde. Bis heute richtet sie sich gegen das Überangebot und die Schnelllebigkeit in der globalen Lebensmittelindustrie – Themen, die angesichts der viel geforderten „Ernährungswende“ und auch der jüngsten Krisen mit drohenden Nahrungsmittelengpässen noch einmal mehr an Bedeutung gewinnen. Ein wichtiges Sachbuch zum Thema „Slow Living“ mit dem Untertitel „Langsamkeit im globalen Alltag“ erschien 2008. Es ist heute noch immer aktuell. Die Kulturwissenschaftlerin Wendy Parkins und der Politologe Geoffrey Craig analysieren darin auf der Grundlage zahlreicher Zeugnisse der aktuellen Debatten die Möglichkeiten und Folgen einer alternativen, auf Langsamkeit basierenden Form des Alltagslebens. Allerdings zeigen sie sich skeptisch, was die Umsetzung angeht. Das Problem sehen die beiden im Wertesystem der Gesellschaft: „Wer sich dazu bekennt, dass Langsamkeit bei der Arbeit oder im privaten beziehungsweise öffentlichen Leben etwas Wertvolles ist, vertritt eine Position, die im Gegensatz zum herrschenden Wertesystem der heutigen Zeit steht.“ Diese Erfahrungen haben wir selbst in der Corona-Pandemie gemacht, die uns eigentlich Zeit im Überfluss schenkte, mehr als einen Moment zum Innehalten. Doch wir lebten nicht langsamer, sondern wurden ungeduldiger. Je weniger wir unternehmen konnten, umso mehr stieg die Angst, etwas zu verpassen. Das Geld, das wir nicht für Restaurantbesuche und Reisen ausgaben, sparten wir nicht. Wir investierten es: in Saunen, e-Bikes und Gartenpools. Also in noch mehr Freizeitstress... ? STIEHLT GESCHWINDIGKEIT UNSERE ZEIT? Einen interessanten Beitrag zum „Slow living“ haben auch der emeritierte Geographie-Professor Paul Tranter und der Verkehrsexperte Rodney Tolley mit ihrem Buch über „The ‚slow paradox‘: how speed steals our time“ geleistet, das vor zwei Jahren erschien. Anhand zahlreicher Beispiele aus dem Verkehrsbereich zeigen sie auf, warum Geschwindigkeit uns eher lähmt als beflügelt. Zwar fühlt sich der Mensch von Geschwindigkeit seit jeher angezogen, was sich beispielsweise im Bewegungsdrang von Kindern manifestiert. Gleichzeitig ist der Mensch aber auch ein soziales Wesen, unterhält sich gerne mit anderen, beobachtet die Welt. Mit dem Auto – Symbol für Geschwindigkeit – sei beides, die von Menschen angetriebene Geschwindigkeit und das soziale Verweilen, jedoch unvereinbar, so die Autoren. Sie zeigten anhand von Untersuchungen, dass Kinder Fahrten im „schnellen“ Auto nicht genießen, sondern auf dem Rücksitz nachgerade gefangen sind. Gleichzeitig prangern die Autoren auch an, wie Eltern mit ihren Kindern von einer außerschulischen Aktivität zur nächsten hetzen, „um ihrem eigenen Kind einen Wettbewerbsvorteil in einer konsumorientierten Welt zu verschaffen“. Einer Untersuchung zufolge verbringen beispielsweise fast zwei Drittel der australischen Eltern mehr als acht Stunden pro Woche damit, ihre Kinder zur Schule und zu anderen Aktivitäten zu fahren. Das Leben auf der Überholspur wird den Kindern damit gleichsam in die Wiege gelegt. Nun also „Slow Living“: die Summe von Achtsamkeit und Work-Life-Balance, von Digital Detox und „Simplify your Life”. Hauptsache, wir setzen uns damit nicht unter Stress ... Silke Bruns Foto: Jared Rice/unsplash leben TRENDS 38 PROFILE 6/2022

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