Berufsausbildung Berufe, die die Stadt dringend braucht Berufsbildung findet in Deutschland klassisch im Rahmen des dualen Ausbildungssystems statt. Neben den Berufsschulen gibt es berufliche Schulen wie den Berliner Lette Verein. Seit 1866 bemüht sich der Verein um die „Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“. Bürgerlichen Frauen standen im 19. Jahrhundert jedoch nur wenige Berufe offen, etwa die der „Gesellschafterin“ oder der „Gouvernante“. Mittellose Witwen und unverheiratete Fräulein waren auf die Großzügigkeit von Verwandten angewiesen. Vereinsgründer Wilhelm Adolf Lette wollte nicht nur den Frauen berufliche Perspektiven bieten, sondern auch die nicht selten finanziell überforderten Familien entlasten. „Es ging den Vereinsmitgliedern vor allem darum, das Leben der Frauen der bürgerlichen Schichten zu verbessern“, erzählt Petra Madyda, seit 2009 Direktorin der Stiftung Lette Verein. Den Gründerinnen der Handels- und Gewerbeschule des Vereins, Wilhelm Adolfs Tochter Anna Schepeler-Lette und Jenny Hirsch, wurde klar, dass Frauen Berufsausbildungen benötigten. Dafür mussten neue Berufsfelder erschlossen werden, die den Männern keine Konkurrenz machen würden. Nach 1860, in der „Gründerzeit“ gab es dafür auch Bedarf: Neben Hauswirtschafts- gab es in den 1870er-Jahren am Lette Verein Buchhaltungs-, Stenografie-, Telegrafie- und Krankenpflegekurse. 1890 wurde die „Photographische Lehranstalt“ gegründet, ab 1896, nur ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen, wurden „bei Lette“ Röntgenschwestern ausgebildet. Der Beruf der medizinisch-technischen Assistentin war geboren. Was wird gebraucht? Ab 1902 kamen im eigens erbauten Komplex am Viktoria-LuisePlatz in Schöneberg zu den Kursen für Hauswirtschaft, Zeichnen oder textiles Gestalten Kurse für Chemische Laborantinnen und Metallographinnen hinzu. Jeder neue Ausbildungsgang machte Investitionen in technische Ausstattung und Ausbildungsstätten erforderlich, die aus dem Schulgeld und aus Spenden finanziert werden mussten. „Zwischen 1900 und 1933 ist da ganz viel ausprobiert worden: Was braucht die Wirtschaft?“, fasst die LetteChefin diese Entwicklung zusammen. Die Ausbildungen waren bedeutsam für die Stadt. Manch eine Berliner Familie rühmt sich noch heute dafür, dass Urgroßmütter und Großmütter „bei Lette“ gelernt hatten und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten konnten. „Immer wieder trifft man auf solche Familiengeschichten“, erzählt die Direktorin. Bis heute konzentriert sich der „Lette Verein Berlin“, längst umgewandelt in eine Stiftung des öffentlichen Rechts, auf Ausbildungen in den Bereichen Naturwissenschaft, Technik, Gesundheit, Ernährung und Versorgung sowie Design. Das bedeutet auch, dass sieben Schulen unter einem Dach vereint betrieben werden. Zwar sind 37 Prozent der etwa 700 Schüler und Auszubildenden männlich, „aber wir verstehen uns als Einrichtung, die Frauen fördert“, unterstreicht Madyda, die zunächst Lehrerin und Schulrätin war, bevor sie die Leitung des Hauses übernahm. Handwerk und Design treffen Technik Die beruflichen Schulen des Lette Vereins, die für die meisten Ausbildungen auch ein Schulgeld von 95 Euro im Monat erheben, sind Vollzeitschulen und nehmen ihre Prüfungen unter staatlicher Aufsicht selbst vor. Die Ausbildungen zur/zum Technischen Assistentin/Assistenten für chemische und biologische Laboratorien, für Medieninformatik und für Metallographie ermöglichen auch den Erwerb der Fachhochschulreife. Die Ausbildung zur Assistentin für Ernährung und Versorgung stellt ein Sprungbrett zur Betriebswirtin dar. Und wer keinen Schulabschluss hat, kann ihn hier nachholen und sich gleichzeitig beruflich orientieren. Bei den medizinischen Technologieausbildungen, etwa zur Radiologie-Assistentin, kooperiert der Verein im Rahmen einer dualen Ausbildung mit Berliner Krankenhäusern. „Das öffentliche Bild des Lette Vereins ist heute sicherlich geprägt von den Designausbildungsgängen“, meint Madyda. Für Fotografie-, Grafik- und Modedesignausbildung ziehen Menschen sogar von Japan nach Berlin. Aktuell beobachtet die Schulleitung, dass Schüler und Schülerinnen „nicht mehr so interessiert auf die technischen Berufe“ blicken. Petra Madyda will gegensteuern: „Wir wollen auch wegen der technischen Ausbildungen gesehen werden, die die Stadt so dringend braucht!“ Die Attraktivität der naturwissenschaftlich-technischen Berufe soll gesteigert werden: durch interdisziplinäre Projekte gleich zu Beginn der Ausbildung, in deren Rahmen „die Neuen“ die Verflechtung von Biologie, Chemie, Metallografie und Informatik erleben, und durch die Einrichtung von Lernfeldern, durch die Themen komplexer angegangen werden können. Mehr Informationen: www.letteverein.berlin. ada Technischer Assistent oder Technische Assistentin für chemisch-biologische Laboratorien ist ein Ausbildungszweig beim Lette Verein. © Lette Verein Berlin FOKUS 31 vbob Magazin | dbb seiten | Mai 2025
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