Profile 1-2024

29 PROFILE 1/2024 Ein wichtiger Bestandteil des Zuhörens ist die Empathie. Wenn wir uns bemühen, die Welt aus der Perspektive unseres Gegenübers zu sehen und dessen Emotionen zu verstehen, stärkt dies nicht nur die zwischenmenschliche Beziehung, sondern fördert auch ein harmonisches Miteinander. Empathisches Zuhören erfordert, sich in die Gefühlslage des anderen hineinzuversetzen, ohne vorschnell zu urteilen oder Ratschläge zu erteilen. Und genau das fällt uns sehr schwer – auch und gerade bei den Menschen, die wir am besten kennen und zu denen wir eine besonders gute und enge Beziehung haben. „Closeness Connection Bias“ nennt man diese Wahrnehmungsverzerrung in der Verhaltensforschung. Weil wir glauben, den eigenen Bruder oder die langjährige Freundin in- und auswendig zu kennen, hören wir nicht mehr richtig zu. Wir wissen genau, was er oder sie uns sagen will, also beenden wir den Satz für sie oder fallen ihr ins Wort. Ähnliches passiert auch in der Partnerschaft. Man lebt seit Jahren zusammen, kennt alle Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen. Es wird also nicht Neues sein, was wir da zu hören bekommen, also schalten wir ab und beschäftigen uns gedanklich oder auch physisch mit etwas anderem. Das Nebenbei-Scrollen auf dem Smartphone ist dafür symptomatisch. VIER OHREN HÖREN MEHR Was also tun? Eine gute Methode, besser Zuhören zu lernen, ist, aus dem gewohnten Muster auszubrechen. Also bei sich wiederholenden Themen wie etwa Ärger im Büro nicht mit dem üblichen „Ach, der schon wieder“ zu reagieren, sondern nachzufragen. Was genau hat dich genau gestört? Wie hast du dich gefühlt? Denn Zuhören ist nicht nur ein wesentlicher Teil der Kommunikation, sondern funktioniert auf unterschiedlichen Ebenen. Der Psychologe und Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun nennt es das „Vier-Ohren-Modell“. Wann immer jemand spricht, kann der Zuhörende vier Ohren aufmachen, um besser zu verstehen: das Ohr der Sachebene (Worüber wird gesprochen?), das der Selbstkundgabe (Was verrät der Erzählende über sich?), das Ohr der Beziehungsebene (Was höre ich über uns und unsere Beziehung?) und der Appellebene (Was will er von mir?). Wenn sich Menschen streiten – sei es privat als Paar oder öffentlich in Talkshows – fliegen auf der Sachebene die Fetzen. Jede:r will Recht haben und vertritt vehement die eigene Meinung. Die Beziehungsebene ist nicht mehr zu hören oder zu spüren. Dabei liegt auf der Beziehungsebene oft eine Möglichkeit der Verständigung. Man wird milder und nach­

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